Wahlrecht und Wachkoma

Dies ist nur eine kleine Geschichte, aber ich muss etwas ausholen.

Es geht um die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) – offiziell: Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Dies ist ein internationales Vertragswerk, das am 13.12.2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen und dann bis heute von etwa 150 Staaten sowie der Europäischen Union anerkannt wurde. Für die Bundesrepublik Deutschland ist das Abkommen seit dem 26.03.2009 verbindlich.

Die UN-BRK erklärt Inklusion (in etwa: gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben) zum Menschenrecht und schreibt zahlreiche Rechte für behinderte Menschen fest, etwa in den Bereichen Arbeit, Bildung, Teilhabe am politischen Leben und Barrierefreiheit (Näheres zum Inhalt, auch in leichter Sprache). In vielen Bereichen bedarf sie allerdings der Konkretisierung durch den nationalen Gesetzgeber. In Deutschland arbeiten Ministerien und Parlamente natürlich seit Jahren mit Hochdruck daran, so das Mantra der zuständigen Politiker.

Da die Verfasser der UN-BRK sich nicht sicher waren, ob wirklich alle Staaten so vorbildlich wie unser Land an der Umsetzung arbeiten würden, haben sie durch Artikel 34 UN-BRK den „Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ eingesetzt (Committee on the Rights of Persons with Disabilities – CRPD), der u. a. umfassende Berichte der Vertragsstaaten entgegennimmt und prüft. Inhalt der Berichte sollen die Maßnahmen sein, die die Vertragsstaaten zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Übereinkommen getroffen haben, sowie die dabei erzielten Fortschritte.

Im Rahmen dieser Prüfung hatte nun der Ausschuss die Bundesrepublik Deutschland für den 26. und 27.03.2015 zu einer Anhörung geladen. Und so machte sich eine Delegation von fast 60 Personen auf ins schöne Genf: u.a. Vertreter/innen des Bundestags (behindertenpolitische Sprecher/innen der Fraktionen), der zuständigen Bundesministerien, der Länder sowie von Verbänden.

Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hatte – für manchen sicher überraschend (siehe oben) – viele kritische Fragen an die deutsche Delegation, u.a. war Thema die  Teilhabe am politischen Leben (Artikel 29 UN-BRK). Dringenden Handlungsbedarf sah der Ausschuss insbesondere deshalb, weil Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, bei denen eine gerichtliche Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet ist oder die im Rahmen des Maßregelvollzugs in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind (§ 13 Bundeswahlgesetz und entsprechende Ländergesetze). Dass von dieser strengen Regelung keine Ausnahmen vorgesehen sind, hielt der Ausschuss für unvereinbar mit der UN-BRK.

An dieser Stelle konnte die deutsche Delegation jedoch aufzeigen, welche durchaus praktischen Erwägungen hinter der kritisierten Regelung stehen. Man konterte nämlich die Kritik mit dem Argument, dass man einen Wachkomapatienten ja auch nicht Pilot werden lasse …..

Welche flegelhafte Person unter den deutschen Expeditionsteilnehmern es fertigbrachte, diesen Vergleich zu verwenden, weiß ich nicht. Immerhin führte die Bemerkung bei den Zuhörern zu Stirnrunzeln, meines Erachtens jedoch eine viel zu höfliche Reaktion.

Der Abschlussbericht des Ausschusses wird für Ende April erwartet. Er dürfte einige Beanstandungen enthalten. Mal sehen, wie das Stirnrunzeln in Worte gefasst wird.

Weitergehende Infos:

 

Nachtrag:

Mittlerweile liegt der oben genannte Abschlussbericht („Abschließende Bemerkungen des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen“) vor. Die – jeweils noch inoffizielle – Fassung des Berichts in englischer und deutscher Sprache finden Sie hier auf der Website des Deutschen Instituts für Menschenrechte e.V.., nebst einer Kurzanalyse des Berichts.