Zum Thema Sterbehilfe

… gibt es einen sehr lesenswerten Text von Thomas Fischer in der ZEIT.

Prof. Dr. Thomas Fischer ist Vorsitzender des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof. Unter der Überschrift „Im Zweifel gegen die Freiheit“ kritisiert er im Rahmen seiner ZEIT-Kolumne „Fischer im Recht“ diesmal die aktuellen und möglichen künftigen Gesetze zur Sterbehilfe und rechnet mit der Scheinheiligkeit von Bundestagsabgeordneten sowie Ärztefunktionären ab. 

Nach seiner Auffassung bilden die strafrechtlichen Regeln über die Sterbehilfe die heutige Wirklichkeit nicht ab. Der Bundestag will die Sterbehilfe neu regeln, aber die Abgeordneten nehmen unser Selbstbestimmungsrecht nicht ernst. Auch sollten die Ärzte bedenken, dass sie nicht in erster Linie der Ärztekammer, sondern ihren Patienten verpflichtet sind.

Erfreulich, dass ein Bundesrichter bei diesem strapaziösen, aber letztendlich – ob pro oder contra – unausweichlichen Thema Klartext redet und Position bezieht! Auf „klare Kante“ kann man sich bei Thomas Fischer im übrigen auch in den anderen Artikeln seiner empfehlenswerten Rechtskolumne verlassen. 

Nachtrag

Der weitere Text zum Thema von Thomas Fischer – zugleich eine weitere Streitschrift pro Selbstbestimmungsrecht – ist unbedingt lesenswert. 

Sein Aufruf

„Sehr geehrte Abgeordnete! Sie sind für vieles kompetent, zuständig und sachverständig. Sie sind die Vertreter des ganzen Volkes. Ich verstehe das.

Aber Sie haben, bei aller Theorie zu Artikel 38 Grundgesetz, kein Mandat, über die Existenz des Menschen und über den Inhalt der Menschenwürde zu entscheiden. Lassen Sie die Bürger in Ruhe, was den Tod betrifft, und kümmern Sie sich um Ihren eigenen. Sie machen sich lächerlich, wenn Sie das Gegenteil versuchen. Da mögen Sie in Ihren Entwürfen und „Todesgutachten“ kramen, so lang und aufgeregt und wichtig auch immer Sie wollen – das Leben selbst und der Tod lassen Sie immer extrem klein zurück.

Politiker! Es gibt keinen Grund zur Eile! Lassen Sie – wenn Sie sich schon nicht trauen, der Freiheit des Einzelnen (und damit Ihrer eigenen) den Platz einzuräumen, der ihr gemäß Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz zukommt – die Dinge so, wie sie sind.

Alles, was Sie (angeblich) regeln sollen, ist schlechter als der bestehende Zustand. Die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht für ihre Angst mit Strafe bedroht werden. Sie wollen Ihre Hilfe, Ihr Verständnis und Ihren Respekt. Sagen Sie viermal: Nein.“

fand leider kein Gehör.

Die von vielen Praktikern kritisierte Einmischung in unser aller Leben und den Beruf von palliativ tätigen Ärzten hat der Bundestag am 06.11.2015 vorgenommen. Als besonders positiv wurde im Chor der Medien immer wieder herausgestellt, dass der Fraktionszwang bei dieser Beschlussfassung aufgehoben war und die einzelnen Abgeordneten nach ihrem eigenen Gewissen abstimmen durften. Sensationell! Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes wurde also bei dieser Abstimmung einmal nicht missachtet:

Sie [die Bundestagsabgeordneten] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Im übrigen hält auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags die beschlossene Neuregelung für verfassungswidrig. Verfassungsbeschwerden wurden schon angekündigt. Also wieder einmal ein Gesetz, dass das Bundesverfassungsgericht beanstanden und aufheben wird?