Artista de la Vida

Ja, großer schwarzer Vogel, endlich!
Ich hab‘ Dich gar nicht reinkommen g’hört,
wie lautlos Du fliegst mein Gott,
wie schön Du bist! 

[Ludwig Hirsch aus: Komm großer schwarzer Vogel]

                                                                                                                                                                       Joe Calamity, genannt Joey 
2003 – 2015 

Ausgestattet mit den Genen

eines spanischen Straßenhundes

aus der weltläufigen Verwandtschaft der Podencos

und versehen mit einem robusten Mandat 

stürmte er: das Leben. 

Aus der Erfahrung der frühen Gefangenschaft

ängstigte ihn jegliche Enge und

verteidigte er hartnäckig und schlau

seine Freiheit. Geschlossene

Türen waren ihm ein Gräuel, weshalb er

sie zu öffnen gelernt hatte. An das Wohnen

im Haus gewöhnte er sich. Auch, weil ihm

– entgegen den Regeln der Hundetrainer –

zugeteilt wurde ein Sofa mit Hundegeruch

und – durchaus wichtig zu wissen – Glacis,

auf dem er Ruhe fand.

Wann immer möglich, zog es ihn

nach draußen und am liebsten

ins freie Feld. Dort

war keine Enge zu spüren und er konnte

völlig entspannt sein. Rennen

als glücklich machender Selbstzweck

schien für ihn erfunden zu sein.

Und ungewöhnlich für jemand

aus der Familie der Canidae

beobachtete und belauschte er draußen

–  konzentriert und ernst

am Himmel Flugzeuge und Zugvögel.

Viel gäbe man dafür zu wissen, ob er 

Bewunderung verspürte.

Zeitlebens studierte er die Menschen genau.

Trotz aller Erkenntnisse, die er gewann: Sie

blieben ihm seltsame Wesen. Sicher,

auf sie angewiesen war er und

es empfahl sich, ihnen gegenüber

nett und charmant aufzutreten, damit sie

Kühlschrank und Dosen öffneten. Und auch

gewann er im Laufe der Zeit Vertrauen

zu seinen Menschen. Aber dennoch:

Wichtig blieb auch, Misstrauen sowie

Sicherheitsabstand zu halten

und einzufordern. Vor allem bei Männern.

Schrecklich, wenn sie mit lauter Stimme

von oben herab ihn ansprachen.

Dann fühlte er sich wieder

eingeengt wie ehedem im Hundeknast.

Angespannt und warnend,

bereit zur Vorwärtsverteidigung,

gegründet in der Angst,

welche die Seele aufessen kann.

Andererseits verfügten Menschen

aber über bessere Nahrung,

ein schwerwiegender Grund, auf ihre oft

merkwürdigen Wünsche einzugehen.

Brathähnchen, Suppenfleisch und

Süßigkeiten aller Art waren seine Favoriten.

Warum gab es überhaupt Hundefutter?

Anfangs sah er seine Aufgabe darin,

Menschen, vor allem Besucher,

auf ihre Standfestigkeit zu testen.

Rudelchef zu werden, war aber seine

Absicht nicht. Zu vorsichtig war er dafür.

Gefahren zu melden, war das eine;

kam es aber zur direkten Begegnung

mit der Gefahr, schadete es nicht,

einen guten Beobachtungsplatz

in der zweiten Reihe einzunehmen. 

Vierbeinige Freunde mussten

rauflustig und rennbegeistert sein.

Sie mussten einen Knuff vertragen

und seine robuste Spielfreude teilen. 

Mit den Jahren gelassener, ruhiger und sogar

anhänglicher werdend war er über 12 Jahre

nah bei seinen Menschen

und seine Menschen bei ihm.

Und immer – darin ein Vorbild –

wirkte seine unbändige Lebensfreude

ansteckend und machte

gute Laune, ob man wollte oder nicht.

Er war ein Lebenskünstler und

machte sich seine Welt,

wie sie ihm gefiel.